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290 Tote durch Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs

aktualisiert am 9.5.2023

Es gibt nicht nur 761 aktive militärische Einrichtungen der US-Streitkräfte in aller Welt (es gibt leider keine aktuelleren Zahlen als die von 2008), sondern die Marine der Vereinigten Staaten ist z. B. auch mobil in jedem Gewässer der Erde unterwegs - gefragt oder ungefragt. Anscheinend gibt es kein Fleckchen auf diesem Planeten, wo amerikanische Interessen nicht tangiert oder gar bedroht sind.

Bei all diesen militärischen Operationen bleiben sogenannte Kollateralschäden nicht aus. Exemplarisch soll hier über die Tragödie des Iran-Air-Flug 655 berichtet werden, welcher aus Übereifer ins Visier der Besatzung des Kreuzers USS Vincennes geriet und mit seinen 290 Passagieren vom Himmel geholt wurde.

- Der Hintergrund
- Die Bedrohung
- Der Irrtum
- Die Reaktionen
- Die Konsequenzen

Der Hintergrund

Der Erste Golfkrieg in den 80er Jahren war ein Kampf zwischen den beiden islamischen Staaten Irak und Iran um die Vorherrschaft am Persischen Golf. Bedeutender als politische Interessen waren wirtschaftliche. Beide Länder verfügen auch heute noch über gewaltige Ölreserven und sind Anrainerstaaten des Persischen Golfs, der von den arabischen Staaten als Arabischer Golf bezeichnet wird. Der für Irak und Iran verlustreiche Krieg dauerte vom 22. September 1980 bis zum 20. August 1988 und wurde schließlich durch einen Waffenstillstand ohne Sieger beendet.

Im Rahmen der Kampfhandlungen wurde der internationale Tankerverkehr im Persischen Golf stark behindert und die Ölexporte auch der anderen Anrainerstaaten wie z. B. Kuwait sanken erheblich. Wo Ölinteressen auf dem Spiel stehen, sind die Vereinigten Staaten mit ihrer ungeheuren See- und Luftstreitmacht nicht weit. So wurden im März 1987 einfach 11 kuwaitische Schiffe in amerikanische umgeflaggt und fortan durch die US-Navy eskortiert. Jeder Angriff auf diese Geleitzüge wäre daher als Angriff auf die Vereinigten Staaten selbst gewertet worden.

Aber auch unabhängig davon betätigte sich eine starke amerikanische Kampfflotte als Militär-Polizist in dieser sensiblen Region. Schließlich ging es vorrangig um die Wahrung amerikanischer Interessen. Viele Jahre später, im November 2003, kam der Internationale Gerichtshof zu dem Schluss, dass die damaligen Aktionen der US-Marine im Persischen Golf rechtswidrig waren.

Die Bedrohung

In dieser angespannten Situation kam es immer wieder zu kleinen bis mittleren Scharmützeln insbesondere zwischen dem US-Militär und iranischen Kampfverbänden. Im Juli 1988 stand der Kreuzer USS Vincennes im Mittelpunkt solcher Kampfhandlungen.

Der Kreuzer USS Vincennes, der das iranische Passagierflugzeug Iran-Air-Flug 655 am 3. Juli 1988 abschoss, auf der Rückfahrt nach San Diego Foto aus Wikipedia (gemeinfrei):
Kreuzer USS Vincennes auf der Rückfahrt nach San Diego im Oktober 1988

Das Kriegsschiff lief 1984 vom Stapel und wurde nach der Schlacht von Vincennes aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg benannt, hatte aber nur eine kurze Lebenszeit. Der über eine Milliarde Dollar teure Raketenkreuzer wurde nach gerade einmal 21 Jahren 2005 wegen seines angeblich veralteten Waffensystems schon wieder außer Dienst gestellt und danach verschrottet.

Am 3. Juli 1988 startete auf der Vincennes ein Hubschrauber, um die Attacke auf einen Tanker durch iranische Schnellboote aufzuklären. Als dieser in zu großer Nähe der Iraner auftauchte, wurde er beschossen und musste die Mission abbrechen. Das haben Militärs nicht gerne. Besonders dann nicht, wenn sie im Ruf stehen, ein übermäßig aggressiver "Robo-Cruiser" zu sein. So der Spitzname für die Vincennes. Offiziere und Besatzung waren durchaus nicht abgeneigt, "ihre Sachen zu zeigen". Also wurde unter dem Kommando von William C. Rogers bewusst die Konfrontation mit den Schnellbooten gesucht. Es kann behauptet werden, dass es ohne diese Auseinandersetzung keinen Abschuss des Airbus gegeben hätte.

Das Kampfinformationszentrum der USS Vincennes, der das iranische Passagierflugzeug Iran-Air-Flug 655 am 3. Juli 1988 abschoss, auf der Rückfahrt nach San Diego Foto aus Wikipedia (gemeinfrei):
Kampfinformationszentrum der USS Vincennes

Nach der Rückkehr des Hubschraubers verfolgte jetzt also die Vincennes selbst die Schnellboote und nahm sie unter Beschuss. Währenddessen tauchte auf dem Radar des Kriegsschiffes ein unbekanntes Flugobjekt auf, das auf dem iranischen Flughafen Bandar Abbas gestartet war. Der Flughafen wurde parallel von Zivil- und Militärflugzeugen genutzt, was den Amerikanern auch bekannt war. Das auf dem Kreuzer benutzte Aegis-Kampfsystem identifizierte das unbekannte Objekt zunächst als F-14-Kampfjet der iranischen Luftwaffe. In Wirklichkeit handelte es sich um einen zivilen Airbus A300 der Iran Air mit 290 Passagieren an Bord, der zu einem Routineflug nach Dubai gestartet war.

Der Irrtum

Kapitänleutnant Scott Lustig oblag es, den Kapitän über mögliche Bedrohungen aus der Luft zu informieren. Trotz verschiedener Möglichkeiten konnte das Objekt nicht eindeutig als Zivilflugzeug identifiziert werden. Daher wurde versucht, einen direkten Kontakt über Funk zum Piloten herzustellen. Aber Airbus-Kapitän Mohsen Rezaian bekam die ersten 7 Versuche nicht mit, da eine militärische Funkfrequenz benutzt wurde, die der A300 überhaupt nicht empfangen konnte. Die drei folgenden Funksprüche auf der internationalen Notfrequenz waren zwar im Cockpit zu hören, aber weil falsche Parameter übermittelt wurden, fühlte sich der iranische Pilot nicht angesprochen. So flog Iran Air 655 geradewegs weiter ins Verderben.

Die Straße von Hormus im Persischen Golf User:Dual Freq, Iran Air 655 Strait of hormuz 80, CC BY-SA 3.0 extern🡽
Die Karte zeigt Start- und geplanten Landepunkt des Airbus sowie die ungefähre Position beim Abschuss

Als der Airbus sich bis auf 45 km dem Kriegsschiff genähert hatte, wurde zum ersten Mal im Gefechtszentrum ein Abschuss diskutiert. Die Situation verschärfte sich, weil gleichzeitig das Geschütz, mit dem auf die iranischen Schnellboote gefeuert wurde, versagte. So wurde eine scharfe Kurve gefahren, um das Heckgeschütz benutzen zu können.

Bei einer Entfernung von 37 km hätte der Kapitän nach den amerikanischen Militärvorschriften das Flugzeug abschießen dürfen. Aber Rogers zögerte, weil er zwischendurch den Hinweis erhielt, dass es sich doch um ein ziviles Flugzeug handeln könnte.

Dann wurde ihm gemeldet, dass das "feindliche" Flugzeug sinken würde, um möglicherweise die Vincennes anzugreifen. Diese Information war jedoch falsch. Der Airbus verringerte zu keinem Zeitpunkt seine Flughöhe, was ein unaufgeregter Blick auf die Monitore hätte beweisen können und was nachher auch durch die aufgezeichneten Computerdaten dokumentiert wurde.

Diese Fehleinschätzung der Besatzung im Kampfinformationszentrum wurde später als "Szenario-Erfüllung" bezeichnet - und dadurch gleichzeitig entschuldigt: Die Militärangehörigen glaubten so sehr daran, dass etwas passiert, dass die einlaufenden Informationen so gedeutet wurden, dass es wirklich zu passieren schien.

Erst bei einer Entfernung von 17 km löste der Kapitän die Raketenabschussfunktion aus. Er hatte jetzt nur noch die Möglichkeit, die Abbruchtaste zu drücken, um die beiden Raketen vor dem Einschlag zu zerstören. Er machte davon keinen Gebrauch und der Airbus wurde abgeschossen. Die Überreste schlugen mitten im Meer auf. Alle 290 Passagiere waren sofort tot. Der Flug hatte nur 7 Minuten gedauert.

Das als militärisches Wunderwerk gepriesene Aegis-System an Bord des Raketenkreuzers war tatsächlich nicht in der Lage gewesen, den weitaus größeren Airbus von einem viel kleineren Kampfjet F-14 zu unterscheiden.

Die Reaktionen

Iranische Briefmarke mit der Darstellung vom Abschuss des Passagierflugzeugs, ausgegeben am 11. August 1988 Foto aus Wikipedia (gemeinfrei):
Iranische Briefmarke, ausgegeben am 11. August 1988

Die iranische Regierung bezeichnete den Vorfall als "barbarischen Akt" und beschuldigte die Amerikaner, dass sie das zivile Verkehrsflugzeug absichtlich abgeschossen hätten. Das iranische Fernsehen zeigte im Meer treibende Leichen und trauernde Angehörige. Die wenigen Trümmer wurden alle aus iranischem Hoheitsgewässer geborgen. Auf Demonstrationen im ganzen Land wurde den US-Amerikanern Rache geschworen. Revolutionsführer Chomeini rief zum "totalen Krieg gegen den großen Satan" auf.

Obwohl durch diesen Abschuss mehr Opfer zu beklagen waren als bei dem Unglück 1983, als sowjetische Kampfjets einen südkoreanischen Jumbojet mit 269 Passagieren abschossen, hielt sich die amerikanische und internationale Öffentlichkeit zurück. Selbst Der Spiegel zeigte sich - damals noch objektiv - darüber verwundert. Während 1983 US-Präsident Ronald Reagan von einer "terroristischen Tat" und vom "kaltblütigem, geplanten Massenmord" der Sowjets sprach, behauptete 1988 sein damaliger US-Vizepräsident George H. W. Bush, dass die Besatzung der USS Vincennes innerhalb von militärischen Kampfhandlungen angemessen gehandelt habe. Auch die meisten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sprachen sich sechs Wochen nach dem Abschuss gegen eine Verurteilung der USA aus.

Während Präsident Ronald Reagan sich informell am 5. Juli beim iranischen Volk entschuldigte, blieb sein Vize Bush stur:

"Ich werde mich niemals für die Vereinigten Staaten von Amerika entschuldigen, niemals. Es ist mir egal, was die Fakten sind."

Der Empfang der USS Vincennes im heimischen Kriegshafen von San Diego muss nicht nur als peinlich, sondern geradezu als abstoßend bezeichnet werden. Tausende von US-Amerikanern jubelten den Soldaten zu, die gerade ein Zivilflugzeug mit 290 Menschen, darunter 66 Kinder, per Knopfdruck in den Tod geschickt hatten.

Die Konsequenzen

Porträtfoto von Commander Will C. Rogers (1981), Kommandant des Kreuzers USS Vincennes Foto aus Wikipedia (gemeinfrei):
Commander Will C. Rogers (1981)

Zwar erfolgte nur 3 Tage nach dem Abschuss eine Untersuchung der Tragödie durch Militärs unter Leitung von Konteradmiral William Fogarty. Ein fahrlässiges oder schuldhaftes Verhalten durch Angehörige der US-Marine stellte das Gremium allerdings nicht fest. Im Gegenteil: Dem Iran wurde eine Mitschuld zugewiesen, weil die dortige Regierung ein Zivilflugzeug in ein Kampfgebiet habe fliegen lassen. Der Bericht wurde veröffentlicht, ohne ein wichtiges Detail zu nennen. Kapitän Rogers steuerte sein Schiff nämlich entgegen des ausdrücklichen Befehls seines vorgesetzten Flottenkommandanten Richard McKenna in iranische Hoheitsgewässer. Das fanden einige Jahre später zwei Enthüllungsjournalisten von Newsweek heraus: John Barry und Roger Charles.

Neun Monate nach dem Abschuss von Iran Air Flug 655 erfolgte am 10. März 1989 ein mutmaßlicher Anschlag auf den Minivan, den die Ehefrau von Kapitän Rogers steuerte. Sie blieb aber unverletzt, als eine Rohrbombe mitten in San Diego explodierte und den Wagen der Rogers in Brand setzte. Obwohl bis zu 300 Polizisten und FBI-Ermittler den Anschlag untersuchten, konnte der Fall nicht geklärt werden und wurde 2003 zu den Akten gelegt.

Fast nicht zu glauben, aber Kapitän Rogers erhielt 1990 von George H. W. Bush, inzwischen zum US-Präsidenten gewählt, den Legion-of-Merit-Orden "für außerordentliche Pflichterfüllung im Einsatz" für die Zeit seines Kommandos an Bord der Vincennes von April 1987 bis Mai 1989."

Der damalige Waffen- und Kampfsystemoffizier der Vincennes, Scott E. Lustig, wurde gleich mit zwei Orden dekoriert. Eine Auszeichnung erhielt er für seinen langjährigen Dienst von Mai 1984 bis Dezember 1988 an Bord des Kreuzers. Die zweite Auszeichnung wurde ihm ausdrücklich für seine Rolle während des Gefechts mit sieben iranischen Kanonenbooten im Persischen Golf am 3. Juli 1988 verliehen.

Der tragische Abschuss des Verkehrsflugzeugs, für den die beiden Offiziere die Hauptverantwortung trugen, blieb unerwähnt. Lustig war zur Zeit der Ordensverleihung Leitender Offizier auf einem anderen Kriegsschiff, während Rogers für die Ausbildung von Offizieren im Umgang mit Kampfsituationen verantwortlich war.

Immerhin einigten sich 1996 die Vereinigten Staaten unter Präsident Bill Clinton und der Iran vor dem Internationalen Gerichtshof auf eine Entschädigung von 61,8 Millionen Dollar an die Hinterbliebenen. Eine formelle Verantwortung für den Abschuss wurde von den Amerikanern allerdings nicht übernommen.

Quellen: Wikipedia: Iran Air Flight 655 (ausführliche englische Version, Wikipedia: Iran-Air-Flug 655 (kurze deutsche Versuion), Mayday – Alarm im Cockpit: 'Tragödie im Golf' (ganze TV-Folge von National Geographic) und Barry, John (13 July 1992). "Sea of Lies". Newsweek. Retrieved 5 May 2021. extern🡽:

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